‣DREI FRAGEN AN KLARA RAVAT

  • 07.01 ‣DREI FRAGEN AN KLARA RAVAT
    Dialogfeld 3

    Du bist nun seit einigen Wochen in Chemnitz (unterwegs):
    Wie sind deine Eindrücke von der Stadt? Ist dir irgendwas bestimmtes aufgefallen? Warum? Welche Unterschiede siehst du dabei z.B. zu eurer Heimatstadt Berlin?

    Klara: „Chemnitz, das „Land“ der leerstehenden Gebäude. Ich bin wirklich beeindruckt von der Fläche und den leerstehenden Gebäuden in der ganzen Stadt. Diese Leere vermittelt mir den Eindruck unbegrenzter Möglichkeiten – Dinge geschehen zu machen und zu lassen. Es ist, als würden die leeren Räume meine Tagträume geradezu anfachen. Unweigerlich kommen mir viele Fragen über Raum und Wohnen in den Sinn: „Was würde passieren, wenn ich nach Chemnitz ziehe? Würde ich es mir eines Tages leisten können, in dieser Stadt ein ganzes Gebäude zu kaufen? Könnte ich mich in einem dieser Gebäude niederlassen und es in ein riesiges Geruchslabor umbauen? Würden Leute aus Berlin vorbeikommen, wenn ich an den Wochenenden einen Kleinbus besorge?“ Phantasieren über die Möglichkeiten des Raumes. Was mich ebenso fasziniert, ist die große Anzahl der Gärten, und wie engagiert die Menschen, die die Gärten betreiben, sind. In einer Stadt, die recht ruhig und beschaulich erscheint, finde ich, dass die Gemeinschaftsbildung und Treffpunkte ein Muss sind, um sie in Verbindung zu halten.

     

    Im Rahmen der Dialogfelder 2020 Von Sinnen widmest du dich dem Geruchssinn: Gibt es dabei Impressionen, die du vor allem aus dem Sonnenberg ziehst? Um welche handelt es sich konkret? Wie finden sich diese in deiner Arbeit wieder?

    Klara: „Im Moment finde ich die Gerüche des Viertels Sonnenberg recht neutral. Da die Räume so weiträumig sind und aufgrund der COVID-Bestimmungen im Moment kaum Menschenansammlungen möglich sind, verflüchtigen sich die Gerüche. Ich frage mich dabei, ob die Stadtplanung und der fast nicht vorhandene Geruch Hand in Hand gehen. Durch den wunderbaren Rundgang, den Octavio und Lisa vom Bordsteinlobby e.V. an den ersten Tagen in der Stadt umsetzten, habe ich erfahren, dass Chemnitz früher sehr nach Trabant-Öl roch und die Verschmutzung durch die umliegenden Tagebaue die Stadt geradezu vereinnahmte.
    Die (scheinbare) Geruchsneutralität muss also etwas wirklich Wichtiges für alle und für die Geschichte der Stadt sein. Es ist fast so etwas wie ein Aushängeschild, eine Art Wink. Der neutrale Duft erinnert uns daran, zu vergessen und hinter uns zu lassen, wer wir waren, und deutet an, wer wir sein wollen.
    Die tabula rasa oder die weiß-duftende Leinwand weckt meine Vorstellungskraft, so wie es die leeren Gebäude tun. Was würde passieren, wenn eine Ausländerin – die ich bin – die Gerüche des Sonnenbergs nicht nur neu denkt, sondern auch neu kreiert? Was wäre, wenn ich eine fiktive Geschichte phantasievoller Düfte des Sonnenbergs erzähle?“

    Kannst du uns jeweils einen kleinen Ausblick auf die entstehende Arbeit geben? Auf was dürfen sich Besucher:innen der Präsentationswoche vom 12.12. bis 18.12. freuen?

    Klara: „Wegen des gegenwärtigen Weltwahnsinns, war ich in letzter Zeit sehr an Selbstfürsorgeerfahrungen interessiert und wie man Rituale schafft – wie man Menschen Raum zur Verarbeitung all dessen gibt, was wir im Kunstkontext durchmachen.
    Zum Beispiel habe ich in Berlin einen komplett weißen Raum, inkl. großem weißen Kissen (7 m) in einem Galerieraum in Berlin-Mitte geschaffen. Der Raum war mit Meeres- und Luftgerüchen parfümiert, und ich habe einen sich wiederholenden dröhnenden Klang entworfen, der Besucher:innen hilft sich zu entspannen. Ich wollte, dass die Menschen in der Lage sind, zu kommen und im Raum zu bleiben, solange es eben notwendig ist. Eine Pause von der Pandemie und ihrem Privatleben.
    Hier auf dem Sonnenberg arbeite ich daran, jene Selbstpflegepraktiken mit den neutralen Aromen der Nachbarschaft zu verbinden. Hierfür habe ich einen rituellen Teppich zur Selbstpflege entworfen, der aus Wolle hergestellt wird. Der Teppich enthält verschiedene eingearbeitete Symbole. Sie sind Darstellungen meiner eigenen Heilungs- und Fürsorgepraktiken. DMit ist bewusst, dass dies sehr privat ist und nicht jeder damit zu tun haben könnte, daher möchte ich meine Praktiken teilen und sie auf eine eher persönliche (statt private) Ebene bringen – die Verbindung zwischen dem Geruch der Nachbarschaft und dem, was wir tun können, um uns besser zu fühlen, indem wir uns vorstellen, welche Düfte wir gemeinsam für eine bessere Zukunft kreieren könnten.“